Leseprobe

            
             
              

7. Kapitel

Neuer Beruf, neues Glück

 

Der Zufall ist ein Rätsel, fand der Dichter Friedrich Hebbel schon vor 200 Jahre, und auch mir war es ein Rätsel, dass ich ausgerechnet wieder in Neustadt an der Aisch meinen Neuanfang hatte, nachdem ich dort, aus der DDR kommend, schon einmal in einen ganz neuen Lebensabschnitt gestartet war. Nach dem Studium wäre ich zu gerne in Hannover geblieben, hatte dort aber keine Chance. Denn aus geheimen Quellen erfuhr ich, das mir zugestanden wurde, ein guter Besamungstechniker gewesen zu sein, was sich übertragen auf meinen neuen Beruf aber erst noch zeigen müsse. Jedoch in Neustadt kümmerte es allem Anschein nach niemanden, ob ich als praktischer Tierarzt taugte oder nicht, vielmehr fragten mich alte Bekannte und Freunde eher spöttisch als anerkennend, ob sie mich denn künftig, mit „Herr Doktor“ anreden müssten, während mir andere mit ironischem Unterton sagten, dass ich nun wohl weniger zu ihnen als vielmehr zu den Eierköpfen (damalige anerkennende wie lästerliche Bezeichnung für die Studierten) gehöre. Ich habe das alles mit heimlichem Stolz zur Kenntnis genommen und erfreute mich der Sympathien, die ich irgendwie glaubte noch zu haben.

Gerne ging ich abends in meine mir von früher alt vertrauten Kneipen, trank leise ein paar Halbe (normales Helles 0,5 l), gedachte meiner schönen Zeit von vor gut 15 Jahren und wusste nicht, ob ich damals oder jetzt die schöneren Tage hatte. Die nordbayerische Lebensart mit ihren rustikalen Umgangsformen und dem gastfreundschaftlichen Verhalten den Zugereisten gegenüber hatte ich längst schätzen gelernt, und gerne habe ich mir gefallen lassen, wenn ich im Spaße dafür bedauert wurde, dass ich ein Preuße sei; wie das in Bayern jedem widerfährt, der nicht „Bairisch zu reden versteht“.

 

Meine Anstellung als Besamungstierarzt hatte ich bei der Firma SPERMEX in Neustadt erhalten, die den Spermaex- und –import1 für die Besamungsstationen der BRD abwickelte.  

 

1 Der Spermaex- und –import respektive der weltweite Handel mit bovinem TG-Sperma begründet sich darin, dass die verschiedenen Rinderrassen sehr unterschiedliche Leistungsmerkmale haben, die genetisch fixiert sind. Dazu gibt es innerhalb der Rassen sehr großes Leistungsunterschiede, die durch gezielte Besamungszuchtprogramme (Einkreuzung, Verdrängungskreuzung) ausgeglichen werden können. So produzierte in Deutschland eine überdurchschnittlich gute Milchkuh der Rasse Schwarzbuntes Niederungsvieh in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts jährlich um die 3.000 Liter Milch, während heutzutage die Nachkommen dieser Rasse (jetzt als Holsteinfriesen bezeichnet) erst ab einer Jahresleistung von über 9.000 Liter Milch als überdurchschnittlich gut bezeichnet werden. Diese Leistungssteigerung ist in den letzten fünfzig Jahren durch Besamungszuchtprogramme, eine strenge Selektion auf Leistung und ein besseres Herdenmanagement zustande gekommen. Auch der internationale Genaustausch vermittels TG-Sperma und Embryonen hat daran einen sehr großen Anteil. Weit größer als die aufgezeigte Leistungsdifferenz ist dazu der Unterschied zwischen den europäischen Rinderrassen (Bos taurus) und den in Afrika und anderen tropischen Ländern vorherrschenden Rassen (Bos indicus), deren Kühe nur um die 800 Liter Milch pro Jahr produzieren. Mit der Einkreuzung von Bos taurus in Bos indicus Rassen (z. B. via Besamung) entsteht eine enorme Leistungssteigerung bei den Nachkommen (F1-Generation) durch Heterosis und Überdominanz, was besonders für Entwicklungs- und Schwellenländer von  großem Interesse ist.